Unsere „Pagode“ haben wir nicht gesucht;
sie hat uns gefunden, und das kam so:
Im Jahr 1992 bot ein uns bekannter Autohändler, der regelmäßig nach Amerika auf Einkaufstour fuhr, eine dort entdeckte Pagode zum Kauf an. Er pries sie in höchsten Tönen als gänzlich rostfrei, weil der Wagen im Jahre 1968 nach Kalifornien ausgeliefert und seither dort betrieben worden sei. Als wir die Jahreszahl hörten, wurden wir hellhörig; wir hatten im Mai 1968 geheiratet. Und tatsächlich: der Wagen war im Mai 1968 vom Band gelaufen und im Juli des Jahres verschifft worden.
Bei unserer Hochzeit hatten wir nicht im Traum an eine Pagode als Hochzeitskutsche gedacht. Sie war für normale deutsche Verhältnisse das Luxusauto schlechthin. Aber jetzt zur Silberhochzeit im Mai 1993…….
Wir konnten es gar nicht erwarten, den Wagen aus dem Zollhafen in Bremen abzuholen und nach Hause zu fahren. Er war wirklich ohne Rost und noch im originalen Lack.
Die Überführung nach Münster verlief störungsfrei.
Die Pannen ließen jedoch nicht lange auf sich warten und waren zahlreich. Wir hatten nicht mit dem feinen Wüstensand gerechnet, der in allen Aggregaten vorhanden war und seine zerstörerische Wirkung entfaltete. Nach und nach musste die gesamte Technik einschließlich Motor, Einspritzanlage, Automatikgetriebe, Achsen erneuert werden, was zum Teil auch daran gelegen haben könnte, dass der Wagen wohl Renneinsätze gehabt hat; jedenfalls fanden sich in den hinteren Radkästen Schleifspuren von Super-Breitreifen.
Die technische Gesamt-Überholung hat sich gelohnt. Am Tage unserer Silberhochzeit konnten wir bei strahlendem Sonnenschein mit unserer „Hochzeitskutsche“ offen eine lange Ausfahrt unternehmen, die schließlich am nahe gelegenen Flugplatz EDLT endete und uns dort mit der Fliegerei in Verbindung brachte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Auch am Tage unserer goldenen Hochzeit im Jahr 2018 haben wir eine Ausfahrt mit der Pagode gemacht. Sie ist nach wie vor zuverlässig im Einsatz und besteht seit Jahren alle Hauptuntersuchungen „ohne Mängel“.
Die Pagode gilt als zeitlos schönes Kultobjekt, und das völlig zu Recht!
Einerseits verkörpert sie elegant und unbeschwert den Traum von individueller Mobilität, zum anderen steht sie bildhaft für den Versuch eines verantwortungsvollen Umgangs mit dem Gewinn an autonomer Bewegungsfreiheit.
Die Modellbezeichnung 280 SL enthält nicht nur einen Hinweis auf die Stärke des Fahrzeugs (280 bedeutet: der Motor hat 2,8 ltr. Hubraum), sondern auch auf das Konzept seines Konstukteurs: SL steht für super leicht, also für eine Betonung der zur Anwendung gelangten Leichtbauweise. Hierbei handelt es sich sowohl um ein funktionales Konzept als auch um eine ethische Anforderung. Es gilt nicht nur der Satz: „Je leichter, um so schneller!“, sondern auch die Erkenntnis:“ Je leichter, um so schonender!“. Damit ist die Verpflichtung zu einem sorgsamen Umgang mit Ressourcen gemeint. Auch schon in den 60er-Jahren war die Endlichkeit der Erdölvorräte ein Thema, wenn auch nur am Rande. Endlich aus dem Vollen schöpfen, lautete die Devise der Wohlstandsbürger und damit der Zielgruppe von Mercedes-Benz. Leichtbau hatte eher den Hauch von billig.
Die Anwendung und sogar ausdrückliche Betonung von Leichtbauweise
bei dem Spitzenmodell einer renomierten Automarke entsprach
keineswegs den üblich Vorstellungen von Luxusgütern!
Sie war aber durchaus sinnvoll und womöglich gerade deshalb so faszinierend. Es gibt kein überflüssiges „Schnick-Schnack“, kein protziges Accessoir, keine schwülstigen „Macho-Marker“: Die Pagode besticht allein durch ihren schlichten Auftritt.
Das beste Beispiel für das Konzept der Pagode ist natürlich ihr Alleinstellungsmerkmal , nämlich das leicht konkav gewölbte Blechdach, was an das Dach einer Pagode denken lässt. Bei dieser Formgebung handelt es sich nicht um eine vermeintliche Spielerei etwa zur Verkaufsförderung, sondern um die stilsichere Bewältigung einer Leistungs-Anforderung mit möglichst geringem Aufwand. Angesichts der niedrigen Aufbauhöhe des Wagens wäre die Türöffnung im Falle einer herkömmlicher Dachform für bequemes Ein- oder Aussteigen zu klein gewesen.
Der Wagen hat zudem ein vorbildliches Sicherheitskonzept. Zum verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema individuelle Mobilität gehörte für Prof. Barenyi in erster Linie die Minimierung ihrer nachteiligen Auswirkungen. Er hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, gesundheitliche Risiken durch das Autos so weit wie technisch möglich zu vermeiden. So ist die Pagode das erste Fahrzeug mit Knautschzone und Knicklenkung!